selbstbestimmtes Leben
Heimische Studien und Innovationen für Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Parlament präsentiert*
*(Februar 2023)
Wien (PK) – Die jährlich stattfindende Zero Projekt Konferenz widmet sich in den nächsten drei Tagen den Themen selbstbestimmtes Leben und politische Teilhabe sowie IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie). Auch beim „Zero Project – Österreich-Tag“, der heute im Vorfeld der Konferenz im Parlament stattfand, standen diese Themen im Mittelpunkt. Studien zur Repräsentation von Menschen mit Behinderung in den Medien und zu inklusiver Wahlbeteiligung zeigen: Es gibt noch einiges zu tun. Vorgestellt wurden aber auch vier Projekte aus Österreich, die innovative Lösungen für mehr Inklusion und selbstbestimmtes Leben bieten.
Es sei entscheidend, dass Inklusion zum politischen Thema wird, zeigte sich der Gründer von Zero Project, Martin Essl, darüber erfreut, dass die von Andreas Onea (ORF) moderierte Veranstaltung in dieser Form zum ersten Mal im Hohen Haus stattfinden konnte.
Sport und Charity dominieren Berichterstattung
Inklusion passiere nicht automatisch, nur weil sie gesetzlich festgeschrieben ist, sondern sei erst dann möglich, wenn die Allgemeinheit daran mitwirkt, hob Maria Pernegger von MediaAffairs die bedeutsame Rolle von Politik, Wirtschaft und Medien dabei hervor. Bei ihrer aktuellen Medienstudie ging es um die Präsenz, Sichtbarkeit und Inszenierung von Menschen mit Behinderung in den Medien und im öffentlichen Diskurs.
Die mediale Berichterstattung über Menschen mit Behinderung sei im Wesentlichen auf nur zwei Themenbereiche beschränkt: Behindertenspitzensport und Charity, erklärte Studienautorin Pernegger. Sowohl die Heldeninszenierung in dem einen, als auch die Opferinszenierung im anderen Fall sei problematisch, auch weil der gewöhnliche Alltag von Menschen mit Behinderung in den Hintergrund gedrängt werde. Sie würden also nicht angemessen repräsentiert. Viele andere Themen – etwa inklusive Bildung und inklusiver Arbeitsmarkt oder leistbares Wohnen – seien in der Berichterstattung klar unterrepräsentiert. Um diese Diskrepanz zu verkleinern müsse gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen werden, sagte die Studienautorin, wobei sie Wirtschaft und Politik in die Pflicht nahm und zu vermehrtem sachpolitischen Kontext aufforderte.
Im Vergleich mit einer Studie aus dem Jahr 2015 gebe es jedoch auch eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Qualitätsmedien seien bei der Bewusstseinsbildung nun stärker engagiert, sagte Pernegger. Über Barrierefreiheit, den Zugang zu Information oder persönliche Assistenz würde mittlerweile mehr berichtet und der Anteil an problematischer Berichterstattung sinke.
In der darauffolgenden Podiumsdiskussion wurden die Ergebnisse der Studie in Hinblick auf die Bewusstseinsbildung erörtert. Quantitativ habe sich nicht so viel geändert, qualitativ hingegen aber einiges verbessert, meinte Elke Niederl von der Behindertenanwaltschaft. Die Studienpartner:innen Hans-Jürgen Gross (Wiener Stadtwerke), Michael Freitag (Sodexo) und Petra Pieber (Energie Steiermark) gaben beispielhafte Einblicke, wie Inklusion in ihren Unternehmen umgesetzt wird.
Mehr als nur Rollstuhlrampen: Was es für barrierefreie Wahlen braucht
Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung stand im Mittelpunkt der Studie „Wahl ohne Qual“, die von Kurt Feldhofer, Cornelia Thonhauser, Christian Fast und Kevin Neubauer des
Forschungsbüros Menschenrechte der Lebenshilfen Soziale Dienste GmbH vorgestellt wurde. Weil bislang keine Forschungsergebnisse zu diesem Thema vorlagen, Menschen mit Behinderung aber eine politisch relevante Gruppe darstellen, ging das Team den Fragen nach, ob Menschen mit Behinderung wählen gehen und welche Gründe sie davon abhalten. Dabei wurde ein partizipativer Zugang gewählt. Menschen mit und ohne Behinderung forschten gemeinsam im Team.
Die Befragung von 293 Menschen mit Behinderung in Graz sowie im Grazer Umland zeigte, dass ein Viertel der Befragten noch nie wählen war. Einige Studienteilnehmer:innen wussten nicht, dass sie wählen dürfen, oder gingen davon aus, dass sie aufgrund ihrer Behinderung nicht wahlberechtigt sind. Nach den Gründen befragt, warum sie nicht zur Wahl gehen, gaben die Menschen am häufigsten an, kein Interesse zu haben, zu wenige Informationen zur Wahl zu erhalten oder sich von der Politik nicht vertreten zu fühlen. Die Wahlhäufigkeit war bei älteren Menschen mit Behinderung höher als bei jüngeren. Personen, die in Einrichtungen leben, gehen häufiger wählen als jene, die bei der Familie wohnen.
Die Ergebnisse der Studie wollte das Forschungsteam gesellschaftlich nutzbar machen. Gemeinsam mit der steirischen Politik arbeitet das Forschungsbüro nun daran, Wahlen barrierefreier zu machen. Dafür bedürfe es mehr als nur Rollstuhlrampen zu Wahllokalen, so das Team. Es gelte vor allem, politische Inhalte verständlich zu machen. Produziert werden daher etwa Informationen und Erklärvideos zu Wahlen in einfacher Sprache.
Vier österreichische Projekte unter Preisträger:innen des Zero Project Awards 2023
Am Donnerstag wird im Rahmen der Zero Project Konferenz auch der heurige Zero Project Award vergeben. Aus über 300 Einreichungen hat die internationale Community 71 Preisträger:innen ausgewählt. Vier davon kommen aus Österreich. Diese Projekte wurden heute Nachmittag von Michael Pichler und Karin Praniess-Kastner von Zero Project Austria im Parlament genauer vorgestellt.
Die inklusive SommerMusikWoche des Wiener Konzerthauses, die bereits in der Auftaktveranstaltung am Vormittag präsentiert wurde, treffe laut Karin Praniess-Kastner das Thema Inklusion in der Kunst ideal. Für Menschen mit Behinderung sei es wichtig, etwas zu bewerkstelligen, sich künstlerisch auszudrücken und dadurch in der Gesellschaft Aufmerksamkeit zu generieren. Auch die Avatare der Berater Unternehmensberatungs GmbH, die Schüler:innen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten stellvertretend ins Klassenzimmer schicken können, wenn sie selbst nicht physisch am Unterricht teilnehmen können, wurden bereits am Vormittag als Innovation vorgestellt. Für Michael Pichler zeigt dieses Projekt, dass Technik viel bewirken und Inklusion ermöglichen kann.
Ein Preis wird auch an die WAG Assistenzgenossenschaft gehen, die persönliche Assistent:innen an Menschen mit Behinderung in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland vermittelt. Praniess-Kastner strich hervor, dass das Unternehmen auch Menschen mit Behinderung beschäftigt und damit Peer-to-Peer-Beratung von und für Menschen mit Behinderung ermöglicht. Ebenfalls zahlreiche Menschen mit Behinderung sind im Hotel Wesenufer beschäftigt, das auch zu den Preisträger:innen gehört. In dem oberösterreichischen Seminarhotel des Vereins pro mente Oberösterreich haben 60 % der Mitarbeiter:innen eine Behinderung. Michael Pichler betonte, dass Menschen mit Behinderung dort in allen Bereichen des Hotels arbeiten, von der Rezeption über die Küche bis zur Technik.
Für Pichler zeigen die österreichischen Einreichungen, dass sich das Land in Sachen inklusive Innovationen nicht verstecken muss. Es gelte nur, größer zu denken. Der nächste Zero Project Award wird übrigens zum Schwerpunktthema Bildung ausgeschrieben, kündigte Pichler an.
Buchpräsentation und Lesung
Seinen Abschluss fand der „Zero Project – Österreich-Tag“ mit einer Lesung der Autorin Cornelia Pfeiffer aus ihrem Buch „So habe ich es aufgeschrieben“, in dem sie ihre Erfahrungen aus 50 Jahren in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung schildert. Das Buch ist im Rahmen des Ohrenschmaus-Literaturstipendiums 2021/2022 des Vereins Ohrenschmaus entstanden. Der Verein fördert und vermittelt die Literatur von Menschen mit Behinderung.
Zuvor fand im Parlament die Auftaktveranstaltung der Zero Project Konferenz statt, wo Lösungen und Technologien zur Stärkung der politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderung präsentiert wurden (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 181/2023 und Parlamentskorrespondenz Nr. 183/2023). (Schluss Zero Project) fan/kar
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.
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